Ich lege nämlich wenig Wert darauf, dass sich die Schikanen aus meiner Dorfschule wiederholen. Bei diesem Gedanken fahren meine Finger unweigerlich über die Narbe an meinem Unterarm. Ein Schauer läuft mir den Nacken hinunter.
»Schiebt doch bitte mal alle Bänke an die Seite und stellt euch im Kreis auf.« Rebeckas Stimme holt mich zurück in die Gegenwart.
Nachdem wir in der Raummitte Platz geschaffen haben, holt Rebecka einen Ball hervor.
»Uff, ich hasse dieses Kennenlernspielchen«, raunt Vanessa zu meiner linken. Auch ich bin nicht sonderlich erpicht darauf, mich gleich damit zu blamieren, dass ich mir nicht alle Namen merken kann.
Als wüsste Rebecka, was wir denken, zwinkert sie in die Runde und verkündet: »Ich weiß, diese Spielchen sind vielleicht ein bisschen out, aber wir spielen jetzt gleich ein Spiel, bei dem ihr euch schon mal daran gewöhnt, dass wir uns demnächst alle hier ausziehen und anfassen. Und vorher wollt ihr sicher wissen, mit wem ihr es zu tun habt.«
Ein Kichern geht durch die Runde.
»Ach ja, bitte zieht euch ab Morgen am besten praxistaugliche Unterwäsche an. Durchsichtige Spitzendessous oder weit geschnittene Boxershorts wollt ihr vielleicht lieber für eure Freizeit aufbewahren. Denn ab Morgen beginnen wir schon mit den ersten Unterrichtseinheiten.«
Maya und ich schauen uns gleichzeitig an. Sie sieht belustigt und erschrocken zugleich aus. »Darüber, dass wir uns ausziehen werden, habe ich mir ja gar keine Gedanken gemacht«, murmele ich ihr zu.
»Ja voll, dabei ist das ja eigentlich logisch«. Sie klatscht sich mit der Hand gegen die Stirn.
Rebecka räuspert sich laut und das Gemurmel verstummt. »Die erste Runde werft ihr euch bitte einfach den Ball zu, sagt euren Namen und warum ihr Physiotherapeut werden möchtet. Ihr könnt auch gerne sagen, woher ihr seid, wie alt oder ein Hobby von euch. Bitte schaut, dass jeder einmal an die Reihe kommt. Merkt euch so viele Namen, wie ihr könnt. Denn in der zweiten Runde sollt ihr jeweils den Namen desjenigen nennen, dem ihr den Ball zuwerft. Wenn ihr in der dritten Runde einen Namen nicht wisst, darf derjenige eine Fitnessübung sagen, die ihr machen sollt. Zum Beispiel ein Sit-Up oder den Hampelmann. Und wer in der Runde danach einen Namen vergisst, darf sich aussuchen, welches Kleidungsstück er ablegen möchte.«
»Am besten wir merken uns keine der Namen«, ruft der lustig aussehende Typ mit der Brille. Alle fangen an zu lachen. Ich kann nicht anders als mitlachen und fühle mich bereits so, als würde ich genau hier hingehören.
An diesem Vormittag lache ich so viel, dass mir der Bauch schon wehtut. Schon nach ein paar Runden habe ich alle Namen im Kopf. Als die Klingel das Unterrichtsende ankündigt, kommt es mir gleichzeitig so vor, als hätten wir gerade erst angefangen und als ob ich schon seit Wochen hier studieren würde.
Maya, Vanessa, Kerstin und ich verlassen gemeinsam das Unigebäude.
»Wo wohnst du eigentlich?«, fragt Maya mich.
»Ich bin letzte Woche in so ein ganz winziges Apartment in der Rennbahn gezogen.«
»Ach, das ist ja nicht so weit. Meine Eltern haben ihr Haus ein bisschen außerhalb des ganzen Trubels. Aber dann kann ich ja vielleicht mal bei dir abtauchen, wenn alles zu anstrengend wird.«
»Auf jeden Fall! Das wird bestimmt cool.«
Der letzte Satz bleibt mir fast im Halse stecken. Meine Augen bleiben an einem Typ hängen, der vor einem Auto lehnt. Das ist mit Abstand der bestaussehendste Typ, den ich seit Langem gesehen habe.
In diesem Moment stößt er sich vom Auto ab und bestimmt 1,89 Meter Sexyness kommen auf mich zu. Mein Blick klebt an seinem ebenen, markanten Gesicht. Mit den kinnlangen, blond-gewellten Haaren und seiner Lederjacke könnte er glatt Heath Ledgers jüngerer Bruder sein.